Offener Brief zum Infektionsschutzgesetz

Unsere Position zum geplanten Infektionsschutzgesetz

Sehr geehrte Landtagsabgeordnete, Bundestagsabgeordnete,

es kommt für Sie vermutlich nicht überraschend: aber als Club- und Festivalkultur sehen wir den Auswirkungen des angepassten Infektionsschutzgesetzes angespannt entgegen.

Einige Abgeordnete haben es schon öffentlich (Schließungen in der Kultur verhindern) betont: Kultur muss offen bleiben. Und das so lange wie möglich ohne Einschränkungen und inklusive der Clubkultur.

Eine Maskenpflicht bedeutet den Lockdown für die Clubs.

Sie ist nicht angemessen zu überwachen, der Verzehr von Getränken gehört zum wirtschaftlichen Überleben und wildes Tanzen (oder Knutschen) wird behindert – sprich: die Gäste finden nicht die Kultur, die sie wünschen und bleiben aus.

Für uns sind Tests im Vergleich zur Maskenpflicht oder Schließung die Lösung. Sie sind organisatorisch – im Gegensatz zu Einrichtungen ohne Türkontrollen – ein kleineres Problem. Mehrkosten fallen trotzdem an und einige Besucher:innen werden sicherlich abgeschreckt, insbesondere wenn sie für die Tests bezahlen müssen. Insofern braucht es hier staatliche Hilfen, die über das BKM/Neustart Kultur ohne eine Änderung des europäischen Rechtsrahmens zielgenau möglich wären – eine Finanzierung durch den Bundestag vorausgesetzt.

Die nun beschlossenen Maßnahmen müssen geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein. Laut vieler Wissenschaftler*innen und Gesundheitsverwaltungen geht es in dieser Phase nicht mehr darum, jede einzelne Infektion zu verhindern, sondern vor allem um Schutz vulnerabler Gruppen und Einsatz von Impfung und Medikation. Bei uns geht es um die Existenz und unser junges Publikum füllt kein Krankenhaus.

Für die Clubkultur heißt das:

  •  Tests anstatt Maske & Abstand garantieren
  •  “Winterreifen” mit Antigentests, “Schneeketten” sind PCR
  • Tests müssen kostenlos und verfügbar sein

Unsere Prioritäten:

  •  Ein verlässlicher Betrieb und das bundeseinheitlich
  •  Unterstützung in dieser schwierigen Zeit durchs BKM, insbesondere beim geschädigten Geschäftsbetrieb durch eine Maskenpflicht
  • Keine Einschränkung der Clubkultur als Symbol für politisches Handeln mit zweifelhaften Auswirkungen auf den Verlauf der Pandemie

Es ist eng für die Clubkultur in Deutschland. Im dritten Corona-Winter geht es um die Existenz. Ein Überleben wurde durch die bisherigen Hilfen gesichert, wenn alles nun so läuft, wie es sich abzeichnet, geht es auch um den Verlust der Unterstützung der Maßnahmen – mehr Klagen, mehr Regelverstöße und beim Publikum der Rückgriff auf den guten alten Partykeller – ganz ohne irgendwelche Regeln.

Helfen Sie der Clubkultur. Fördern Sie Gemeinschaft. Stehen Sie ein für Kunst- und Gewerbefreiheit. Sichern Sie die Existenz der Spielstätten in Ihrem Wahlkreis.

Große Existenzängste für den Herbst und Winter

Nachdem das Clubkombinat zuletzt im Dezember 2021 ein Lagebild veröffentlichte, lieferten aktuelle Statements aus der Politik (Karl Lauterbach: „es wird ein schwerer Herbst werden“; Melanie Leonhard „Kapazitätsgrenzen für Veranstaltungen“ und dem Sachverständigenrat „man sollte eher mit tagesaktuellen Tests arbeiten“) für die Kultur- und Veranstaltungsbranche bereits neue Drohkulissen. Die Grundzüge einer Einigung zwischen Gesundheitsminister Lauterbach und Justizminister Buschmann über ein neues Infektionsschutzgesetz lassen nun die schlimmsten Befürchtungen wahr werden. Die Regelungen sehen vor, dass die Länder per Verordnung in Restaurants, Bars und in Clubs eine Maskenpflicht vorschreiben können. Diese könnte wegfallen, wenn ein aktueller Test oder ein höchstens drei Monate alter Genesenen- oder Impfnachweis vorgelegt wird.

Seit Mai 2022 waren erstmals nach über 25 Monaten in Hamburg Veranstaltungen ohne staatliche Eingriffe für das Wohl des Gesundheitswesens möglich. Doch die Veranstaltungsbetriebe und deren angestammten Märkte sind enorm in Schieflage geraten. Viele Bilder von Menschenmassen auf Großveranstaltungen, wie dem Hurricane-Festival, Rammstein oder Rave The Planet suggerieren in den Medien, dass die Branche wieder an alte Zeiten anknüpfen kann.

Derzeit sieht es in der Veranstaltungsbrache so aus, dass der Gesamtumsatz der Branche sich im Vergleich zu 2019 wieder stabilisieren könnte. Er wird aber zu 50% aus bereits 2019/2020 gekauften und mehrfach verschobenen Veranstaltungsbudgets / Kartenkäufen gespeist. Durch die „normale“ Anzahl von Neuveranstaltungen – die wegen des Wegfalles der Coronabschränkungen wieder „am Markt“ sind – entsteht ein Überangebot: 50% Altveranstaltungen plus 100% Neuveranstaltungen. Gleichzeitig sind aber nach fast 3 Jahren Lockdown die vielen Soloselbständigen unserer Branche sowie Klein- und Kleinstunternehmer:innen abgewandert – so dass die 150% Aufträge mit nur 60% des Personals bewältigt werden müssen. Dies führte zu einer Kostenexplosion bei Personal und Zulieferern (in allen o.a. Bereichen). Beispielweise verzeichnen wir bei Techniker:innen (plus 50 – 70% Kostensteigerung), sowie Transport & Material (70-100% Kostensteigerung) enorme Preissprünge. Hinzu kommen die Preissteigerungen durch die Energiekrise, Inflation und Mindestlohn.

Zusätzlich macht sich eine Sättigung im Kaufverhalten der Gäste bemerkbar: Clubs, Theater und sonstige Kultur- und Unterhaltungsbetriebe verzeichnen Gästerückgänge bei den täglichen Veranstaltungen von derzeit durchschnittlich 40% – zum Teil aber schon über 50%.

Im Clubsegment, im Tourneesegment und bei den Konzerthallen führt dies bereits wieder zu Absagen, da die Wertschöpfung negativ geworden ist. Die auslaufenden Hilfsprogramme, sowie die fehlende wirtschaftliche Perspektive lassen befürchten, das es zu einem Kollaps in der Veranstaltungswirtschaft – besonders bei den vielen kleinen Unternehmen – kommen wird. Auch die abgewanderten Soloselbständigen werden so nicht in die Branche zurückkehren. Die jüngsten Schilderungen u.a. von Rocko Schamoni, Axel Ritt, Linus Volkmann oder Revolverheld zeigen auf, dass dieses Szenario nicht unrealistisch ist.

Leider sind in den gegenwärtigen Diskussionen bislang kaum Schritte erkennbar, die auf ein Leben mit dem Virus abzielen. Für das Clubwesen wäre bereits eine Maskenpflicht in Innenräumen wegen Undurchführbarkeit ein Grund zur Schließung – ohne dass eine direkte staatliche Schließungsanordnung vorläge.

Der vermeintliche Alternativweg mit Test- oder Boosternachweis zu arbeiten, wird entweder mangels Akzeptanz in der Bevölkerung, den Kontrollen und/oder der anfänglichen Booster-Impflücke in den ersten Monaten das Hauptgeschäft verhageln. Zudem ist die derzeitige Testinfrastruktur darauf nicht ausgelegt.

Die Clubs (über)leben vom Betrieb in den Wintermonaten, in denen die Rücklagen für die Sommermonate erwirtschaftet werden müssen. Reflexhafte saisonale Maßnahmen in den Monaten von Oktober bis April wären für Musikclubs, Bars und Versammlungsorte keine Lösung, sondern ein Desaster und führen zum sicheren Existenzende. Mit dem Flickenteppich an unterschiedlichen Regelungen zwischen den Bundesländern wäre selbst ein eingeschränktes Konzert- und Tourneegeschäft erneut für Monate quasi lahmgelegt.

Mit dem Regelwerk für Corona-Maßnahmen ab Oktober steht de facto der vierte Lockdown für die Musikclubs im Raum. Darauf würden erneut etliche Verschiebungen von Veranstaltungen, die Rückabwicklung von verkauften Tickets und die Beantragung von notwendigen Hilfsgeldern erforderlich. Bislang haben maßgeblich das Zusammenspiel von Überbrückungshilfen, Kurzarbeitergeld und Neustart Kultur die Branche am Leben erhalten. Diese existenzsichernden Instrumente bleiben in der Kombination bislang verwehrt. Einzig Neustart Kultur scheint bis Mitte 2023 verlängert zu werden. Die Gesprächsfäden mit den Verbänden wurden seitens der Bundesregierung aus unerklärlichen Gründen abgeschnitten.

Die Musikclubs haben dem Gesundheitsschutz dienend bislang überwiegend alle Maßnahmen der Politik mitgetragen und umgesetzt. Häufig haben Clubbetreiber:innen sogar pro-aktiv und vorauseilend eigenständig schärfere Maßnahmen auf- und umgesetzt. Mit den aktuellen Aussichten, kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass sich diese Einstellungen ändern werden.

Planbarkeit und möglichst große zeitliche Vorläufe sind für die Branche essentiell. Wenn keine Vorhersagen für das weitere Pandemiegeschehen seitens der Politik möglich sind, dann bedarf es wenigstens im Vorfeld klarer Bekenntnisse, dass für den Fall der einschränkenden Maßnahmen kurzfristig zielgenaue Hilfeleistungen bereitstünden. Diese könnten bereits jetzt mit der Branche (weiter)entwickelt werden. Wenn keine adäquaten Hilfen für das Personal (Festangestellte und Solo-Selbstständige) und sonstige Fix- und Lebenshaltungskosten bereitstehen, dann droht der nächste Kollateralschaden für eine Branche in Not. Jetzt, da Haushaltsberatungen in der Bürgerschaft und im Bund anstehen, darf der Kulturbereich, der bislang mit Millionen gerettet wurde, nicht auf der Zielgeraden alleine gelassen werden.

Zudem bedarf es Anstrengungen für ein langfristiges Aufbauprogramm in den nächsten drei Jahren (bis einschließlich 2025), denn die Kultur leidet bereits jetzt an Long-Covid. Das abgewanderte Personal kommt unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht wieder zurück. Für die von der abgesackten Nachfrage betroffenen Künstler:innen, wird ein Live-Comeback sehr schwer. Wenn im Tourismus Kraftanstrengungen für eine Branche (Bundeskabinett beschließt Nationale Tourismusstrategie) möglich sind, sollten diese auch in und für die Kultur leistbar sein.

Kultur ist demokratiefördernd und -stiftend. Das muss gerade in und nach einer solchen Zeit die absolute Priorität sein.

Es wird enorm anspruchsvoll, dass die Anliegen der (Club)Kultur neben Putins Krieg in der Ukraine und der drohenden Energiekrise wieder nach oben auf der Agenda der Politik zu setzen. Aufgrund der Dringlichkeit ist das verständlich und ist schlimm, aber ohne Kultur kann es auch nicht besser werden. Wir sehen die Politik in der Pflicht, durch geeignete Maßnahmen das Gesundheitssystem derart zu stärken, dass dessen Robustheit mit andauernder Pandemie eher zunimmt, als abnimmt. Das Forum Veranstaltungswirtschaft hat mit der Genehmigungsmatrix 2.0 für Veranstaltungen erneut einen Aufschlag erarbeitet, über den es sich zu verständigen gilt.

Zudem erkennen wir eine gewisse Doppelmoral: Für Urlaub wird alles getan, damit er stattfinden kann. Fussball ist scheinbar nicht ansteckend. Dagegen gelten Musikveranstaltungen als Superspreader-Events. Kulturorte wurden und sind gebrandmarkt als Seuchen/Infektionsherde, weswegen auch viele Gäste diesen Orten fernbleiben. Von Seiten der Politik wird wenig unternommen, um dieses Bild in der Öffentlichkeit umzukehren. Auch hieran sollte die Politik arbeiten.

Hamburg, im August 2022

Vielen Dank an unsere Hamburger Freunde für den treffenden Text!